Flyer zur Vernissage, zvg
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Urgrossnichte Susanne Schwegler mit Friedas Porträt
Urgrossnichte Susanne Schwegler mit Friedas Porträt
Die vielseitig tätige Frieda Gallati
Die vielseitig tätige Frieda Gallati
Rednerin Franziska Rogger, Historikerin
Rednerin Franziska Rogger, Historikerin
Rednerin Elisabeth Brugger, Frauenzentrale Glarus
Rednerin Elisabeth Brugger, Frauenzentrale Glarus
Neue Stele im Volksgarten Glarus
Neue Stele im Volksgarten Glarus
Junge Frau mit Ambitionen
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Frieda Gallati – beispielhafte Glarner Pionierin

Die erste Glarnerin, die studierte, die zweite Schweizerin, die doktorierte – 1902: An der Lebensgeschichte der Historikerin Frieda Gallati zeigte sich früh die Bedeutung gerechter Bildungschancen. Die politische Mitbestimmung, für die sie kämpfte, blieb ihr jedoch verwehrt.

Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz fand mit «Hommage 2021» in Bern eine Ehrung bzw. Ausstellung von Schweizerinnen aller Kantone statt, die sich während hundert Jahren für Chancengleichheit und eine freiere, gerechtere Gesellschaft eingesetzt haben. Im Kanton Glarus entstand daraus ein Folgeprojekt – am 18. September 2021 wurde mit einem Festakt im Volksgarten eine Stele mit neun Porträts von Glarner Pionierinnen enthüllt. Sie soll nun während der kommenden zehn Jahre an deren Leben und Verdienste erinnern und somit helfen, eine historische Erinnerungslücke zu schliessen. In drei Dreiergruppen auf einem zarten Metallgestell werden die beispielhaften Glarnerinnen in Bild und Text zwischen Glarnerhof und Springbrunnen präsentiert, mit ihren jeweils ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen. Jede so interessant, dass es sich wohl lohnen würde, ein Buch über sie schreiben. Hier seien sie genannt:

Katharina Blumer (1883 bis 1973), welche sich für Volks- und Frauenbildung sowie Natur- und Tierschutz engagierte, die Homöopathin Emilie Paravicini-Blumer (1808 bis 1885), die Missionarin Hildegard Feldmann (1936 bis 1990), die Autorin und Berufsbildnerin Betty Knobel (1904 bis 1998), die Kunstethnologin Elsy Leuzinger (1910 bis 2010), die Krankenschwester und Flüchtlingsretterin Rösli Näf (1911 bis 1996), die Musikerin Rösli Spiess (1896 bis 1974), die Skiweltmeisterin und Lastwagenchauffeurin Rösli Streiff (1901 bis 1997), und eben – von ihr wird gleich speziell die Rede sein: Frieda Gallati (1876 bis 1955).

Vielleicht war sie unter allen genannten Frauen diejenige, welche politisch schliesslich am meisten wagte (wenn auch nicht gewann). Und sie steht exemplarisch für die Bedeutung der Bildung für die Gleichstellung: Unter den fünf Kindern von Rudolf und Martha Gallati-Zweifel konnten auch die vier Mädchen ein reichhaltiges kulturelles Umfeld und die beste verfügbare Ausbildung geniessen – vor über hundert Jahren gar nicht selbstverständlich! Bei Frieda Gallati fiel dieses Angebot auf fruchtbaren Boden. Sie machte die Matura (was damals auch für Männer nur ausserhalb des Kantons Glarus möglich war), studierte Geschichte und Deutsche Literatur in Zürich: die erste Glarnerin, die studierte und die zweite Schweizerin, die doktorierte - 1902!

Wie alle neun nun auf der Stele verewigten Frauen blieb auch Frieda kinderlos. Jedoch ist einiges über sie an Bildmaterial und überlieferten Erinnerungen aus dem Fundus der Familie erhalten und aufgearbeitet. Dies auch dank ihrer Urgrossnichte Susanne Schwegler: «Meine Grossmutter zeigte mir früher diese Kartonschachteln, welche auf dem Estrich  lagerten. Inzwischen sind sie bei mir in Haus». So erfreute die Nachfahrin die Zuhörerinnen und Zuhörer anlässlich der Enthüllung der Stele mit einem wertvollen und persönlichen Einblick in das Leben von Frieda Gallati. Zuvor hatten Elisabeth Brugger (Projektleiterin, Frauenzentrale Glarus) und Franziska Rogger (Historikerin) zur Schweizer Frauengeschichte samt ihren Glarner Meilensteinen gesprochen.

Als Historikerin genoss Frieda Gallati einen hervorragenden Ruf, ihr sind unter anderem kritische Forschungen zum Glarner Universalgelehrten Aegidius Tschudi zu verdanken, die bis heute Gültigkeit haben. Trotz ihrer weit entwickelten Geistesgaben blieb sie aber bodenständig, in der Familie und Umgebung sehr verwurzelt. Daran änderte auch die Ehe mit einem deutschen Professor nichts, welche nach wenigen Jahren geschieden wurde. Allerdings musste sich die junge Frau wieder um ihre (Rück-)Einbürgerung in der Schweiz bemühen – das war damals so. Anschliessend lebte sie im Spielhof in Glarus und unterstützte ihre Mutter, nebst ihrer eigenen Tätigkeit, bei der häuslichen Arbeit. Besonders eng war die Beziehung zu ihrem einzigen Bruder, dem späteren Landamman Rudolf Gallati. Der frühe Tod ihrer geliebten Zwillingsschwester Emma 1915 traf sie schwer. Die jüngste Schwester, Eugenia oder Geni, heiratete nach Finnland, kam aber immer wieder mit ihren Kindern auf Besuch ins Glarnerland. Viel schöne Familien-Zeit wurde im einfachen Ferienchalet im Näfelser Obersee verbracht.

Aus Finnland hatte Frieda auch vernommen, wie es dort punkto Frauenrechte stand: Dieses Land hatte das um diese Zeit wohl in Europa modernste Frauenstimm- und Wahlrecht, inklusive des Rechts, politische Ämter auszuüben. So gründete Frieda selber 1930 einen Verein für Frauenrechte in Glarus, mit dem Ziel, zumindest für Schule, Armenwesen und Kirche den Frauen das Stimm- und Wahlrecht zu ermöglichen. Die Bemühungen scheiterten jedoch an der Landsgemeinde 1936, worauf sich Frieda aus der Politik zurückzog.

Ein Symbolbild besagt, um erstmals ein Haus zu verlassen und neue Wege zu beschreiten, müsse man die Tür erst ein Dutzend Male geöffnet und hinausgesehen haben, ohne jedoch diesen Schritt zu tun. So erging es wohl der Schweiz mit den Frauenrechten – ein langer Weg, wenn man bedenkt, dass es von Friedas Vorstoss und Niederlage bis zum Erreichen des Zieles noch dreieinhalb Jahrzehnte gehen würde. Es knüpften jedoch überall im Lande Menschen da an, wo sie aufgehört hatte. Im zweiten Weltkrieg bürdete man den Frauen, zusätzlich zu ihren eigenen, viele Aufgaben der Männer auf – doch erhielten die Schweizerinnen im Gegensatz zu Frauen in etlichen europäischen Ländern keinen entsprechenden Ausgleich in Form von mehr politischen Rechten. Als man sie dann im Kalten Krieg auch noch zum Zivildienst verpflichten wollte, wehrten sich aber die Frauenrechtsorganisationen vehement. Nachdem diese Debatte die Zivilschutzvorlage gefährdet hatte, sah sich 1957 der Bundesrat in der Pflicht, einen Entwurf zur Einführung des Frauenstimm- und  -wahlrechts vorzulegen. Zwar wurde die Vorlage von beiden Räten angenommen, jedoch 1959 in der eidgenössischen Volksabstimmung mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt. Nur die drei Kantone Waadt, Genf und Neuenburg voteten positiv und konnten das Frauenstimm- und -wahlrecht anschliessend auf Kantons- und Gemeindeebene einführen. Und als man sah, «dass die Strukturen dort anschliessend keinesfalls zusammenbrachen» (so die Historikerin Rogger), folgten weitere Kantone nach; Basel-Stadt  als erster deutschsprachiger Kanton 1966.

1968 schliesslich sollte und wollte der Bundesrat die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnen, was den heftigen Protest der Frauenverbände nach sich zog – wegen des Vorbehalts der politischen Rechte von Frauen. Daraufhin führte der Bundesrat eine neue Abstimmung durch. Beim «Bundesbeschluss» vom 7. Februar 2071 über die «Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten» tat sich zwar ein Für- und Wider-Graben zwischen dem Westen und Süden der Schweiz gegenüber der Zentral- und Ostschweiz auf – aber der Durchbruch wurde geschafft.

Alles ist aber auch heute längst nicht geschafft, meint Susanne Schwegler an diesem 18. September 2021 in Glarus, «wir brauchen noch viele weitere Friedas.» In Bern etwa sind am selben Tag tausende Frauen mit Transparenten unterwegs: «Hände weg von Frauenrenten». Die strukturelle Ungleichheit bei Löhnen und Arbeitsbedingungen der noch immer überwiegend von Frauen ausgeübten Care-Berufen ist nur ein Beispiel, das gerade in Corona-Zeiten besonders klarmacht, was nottut. 

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Kulturblogger Glarus

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Published on

22.09.2021

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