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Littérature

Daniel Mezger: «Alles ausser ich»

Am 7. November stellte der Glarner Autor in Ziegelbrücke seinen zweiten Roman vor. Die Idee dazu stammt noch aus der Zeit vor dem erfolgreichen Erstling „Land spielen“. Das Publikum hörte gespannt zu und erfuhr einiges über den Entstehungsprozess.

 

Es ist zwei Tage vor dem Tag der Offenen Tür in der Baeschlin-Kreativfabrik im Verlagshaus: Inmitten einer Lagerhalle für Bücher wurde zwischen meterhohen Regalen ein Bühnenplätzchen im heimeligen Ambiente mit Stehlampe und Lesetischchen geschaffen. Dahinter als Kulisse eine Kunstinstallation namens @home von Piroska Szoenye; ein Holzhäuschen, an das Kinderbücher genagelt werden. Sie macht damit auf ein Projekt für ein Schweizer Kinderhospiz aufmerksam. Zu Beginn der Lesung begrüsst Gaby Ferndriger; Veranstalter ist die Arbeitsgruppe Baeschlin littéraire.

Die Halle ist die Heimat vieler Bücher, bis sie verkauft oder entsorgt werden. Wie erfolgreich eines wird, kann man vorher oft nicht sagen. Daniel Mezger, aufgewachsen im Auen im Glarner Hinterland und heute in Zürich wohnhaft, hat mit seinem Erstling „Land spielen“ (2012 im Salis Verlag erschienen) schlagartig viel Aufmerksamkeit erhalten. Während jene Geschichte unverkennbar im Lebensraum seines Aufwachsens spielt, dehnen sich die Schauplätze im zweiten Buch auf weitere Länder Europas und in die Epoche vor dem Untergang der DDR aus. Mezger, der nach der Ausbildung als Schauspieler doch lieber Schriftsteller werden wollte und von 2006 bis 2009 am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studierte (u.a. auch bei Tim Krohn), hatte die Idee zum jetzt erschienenen Buch bereits damals, „doch ich musste sie erstmal beiseitelegen, etwas anderes machen.“ 7 Jahre dauert es also, bis „Alles ausser ich“ da ist, 434 Seiten stark.  („Aber der dritte Roman wird schneller kommen“, so der Autor).  „Alles ausser ich“ – der Titel irritiert etwas; ist grammatikalisch auch bewusst nicht ganz korrekt (das wäre: „Alles ausser mir“). Ursprünglich lautete der Arbeitstitel „Auto-Biografie“, weil es viele Autofahrten im Buch gibt. Und vielleicht auch einiges aus dem Leben des Autors darin aufscheint, oder zumindest ein Lebensgefühl, das seine Generation prägt? Die zwei Protagonisten, ein junger Mann namens D. und eine junge Frau namens Ursina, versuchen, das zu werden oder das zu entdecken, was sie ausserhalb der bisherigen (fremdbestimmten) Definition ihrer selbst ausmachen könnte. Klingt ein bisschen abstrakt, so wie die Präambel des Buches: „Identität, die: Abbildung, die jedes Element des Definitionsbereiches auf sich selbst abbildet, für die also gilt: f (x) = x für alle x“ (Lexikon der Mathematik).

Um seine Figuren zu studieren, arbeitet Mezger mit Näherungen. Im Wechsel dreier Perspektiven geht er ihnen nach, entwirft ihre Geschichten, gleicht sie ab, ohne sie zur Deckung zu bringen. Zwingt sie also nicht in einen heissen Plot, sondern überlässt sie ihrem eigenen Tempo. Vor allem aus den inneren Monologen von D., in der Du-Form abgefasst, spricht die Sehnsucht, dass da mehr sein soll, ein Ganzes, ein grosser Sinn. Eine Suche nach Eindeutigkeit. Die Gesamtperspektive erinnert ein bisschen an modernes Theater, wo der Zuschauer nicht nur die Handlung des Stückes erlebt, sondern auch, wie dieses über sich als inszeniertes, als Bühnengeschehen, kommuniziert. Oder an die Malerei: „Ceci n’est pas une pomme“. Was ist Schein, was Sein? Der Autor legt den Protagonisten einige Steine in den Weg: Schon am Anfang will ihre Kommunikation nicht recht in Gang kommen. Mühsam müssen sie sich auf Englisch verständigen, da sie Dänin ist und er Schweizer. Rastplätze, Zwischenhalte, Begegnungen – und immer wieder die Vergangenheit, welche sich in die Gegenwart drängt. Also wohl eine Handlung, die zum grossen Teil von dem getragen wird, was zuvor geschah. Damit der Leser dranbleibt, überlässt ihm der Autor zwei grosse Fragen: Haben D. und Ursina denselben Vater? Wird aus ihnen ein Liebespaar? Und Zusatzfrage: Was passiert, wenn beides zutrifft? Das Ganze ist ein Wagnis. Aber es macht Spass. Wenn Mezger, der ausgebildete Schauspieler vorträgt, wenn er die Worte moduliert, ihr kreativer Witz, das Lakonische hervorblitzt; ein bisschen so wie bei Land spielen (obwohl das ein ganz anderes Setting war). Das Lesen dann braucht mehr Konzentration, um die eng gewebten Dialoge, Gedankengänge, Zeit- und Perspektivwechsel zu verarbeiten, eine Hypothese zu entwickeln, wie alles ausgehen wird. Doch am Schluss des Abends wollen es die meisten Zuhörer wissen; sie nehmen das Buch mit nach Hause.       

Swantje Kammerecker

Autor

Kulturblogger Glarus

Catégorie

  • Littérature

Publié à

10.11.2019

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