Walter Steinmann, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Lisa Hämmerli von der Klimabewegung Glarus.
Walter Steinmann, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Lisa Hämmerli von der Klimabewegung Glarus.

Scienza, Società & persone

Wir sind besser vorbereitet und haben investiert

Der Briefwechsel zweier Klimabewegter –  Lisa Hämmerli schreibt an Walter Steinmann – erscheint derzeit auf www.powertage.ch.

Liebe Lisa

Besten Dank für Deine Ausführungen zu deiner Masterarbeit, zum Rebound-Effekt sowie zu eurer Ausstellung „Nachhaltig einkaufen“. Ich halte solche Kampagnen für sehr zentral, um uns allen näher zu bringen, was wir im Alltag konkret gegen den Klimawandel tun können. Doch neben solchen Mitigationsmassnahmen, mit denen wir die CO2-Emissionen senken, brauchen wir auch eine umfassende Anpassungsstrategie. Diese „Adaptation“ ist nötig, weil bereits eine durchschnittliche Temperaturerhöhung um 1,5 Grad grosse Auswirkungen auf unser Leben, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft haben wird. Die Klimatolog*innen warnen schon lange: Extreme Wetterereignisse werden massiv zunehmen. Gerade bekommen wir das ja in Europa mit voller Wucht zu spüren.

Wir sind besser vorbereitet und haben investiert
In den letzten Jahren wurde in der Schweiz im Umgang mit Unwettern und Starkregen einiges unternommen. Die Beobachtung der Naturgefahren, die Alarmierung und die Vorbereitung von Evakuierungen wurden dank der Nationalen Plattform Naturgefahren PLANAT, einem Verbund von Bund und Kantonen, stark ausgebaut. Zusätzlich wurden an verschiedensten Orten in Rückhaltezonen für Hochwasser entlang der Flüsse investiert. Auch werden bereits einige der bestehenden Speicherseen nicht mehr nur zur Stromproduktion, sondern auch als Auffangbecken bei starken Niederschlägen genutzt. So können Flüsse reguliert und Überschwemmungen vermindert werden.

„Adaptation“ schleicht sich auch in meine Lieblingsbadi
Aber es sind auch Anpassungen in unserem Alltagsleben nötig. Ich bin ja ein begeisterter Schwimmer und von April bis Oktober beinahe täglich in irgendeinem See, Fluss oder Schwimmbecken unterwegs. Vor mehr als einem Monat ist der nahegelegene Moossee über die Ufer getreten. Seither liegt die Einstiegstreppe einen halben Meter unter Wasser. Im betonierten Zugangsbereich schwimmen nun nicht nur Fische zwischen meinen Füssen, es gibt dort auch einen glitschigen Belag aus Algen und anderen Seepflanzen. Schon bald nach dem Beginn der Überschwemmung haben erste Badegäste gebeten, doch Gummimatten zu legen, um Unfälle zu verhindern. Doch der leicht bärbeissige Badmeister meinte, dass sich so eine Anschaffung nicht rentiere, weil derartige Überschwemmungen doch höchstens alle zehn Jahre vorkommen. Inzwischen konnten wir der Gemeinde aber klarmachen, dass sie bei Unfällen haftet. Und seit wenigen Tagen gibt es beim Moossee nun Gummimatten und Abschrankungen, sodass man wieder gefahrlos ins Wasser steigen kann. Und vielleicht nimmt auch dieser Badmeister das Wort «Adaptation» bald in seinen Wortschatz auf. Immerhin muss er schon jetzt in staubtrockenen Jahren den Rasen beim See täglich bewässern und sich in Jahren wie dem heurigen immer öfters wochenlang mit den Folgen von Überschwemmungen herumschlagen.

Migration beeinflusst unsere Küche
Aber die Notwendigkeit zur Adaptation geht noch viel weiter. Das hat mir kürzlich die bekannte Food-Bloggerin und Kochbuchautorin Yasmin Khan bewusstgemacht. Sie hat pakistanische und iranische Wurzeln und schreibt unter anderem für das Wall Street Journal, die New York Times und die Vogue. Ihre Texte gehen weit über das Level einer Betty Bossi hinaus. Sie berichtet von Begegnungen mit Fischern, von Kochgewohnheiten syrischer Flüchtlinge und webt selbst Themen wie Klimawandel und Völkerwanderungen ein. Sie zeigt auch plausibel auf, dass sich Küche und Rezepte eines Landes auch immer wieder über Migration verändern. Die Immigrant*innen bringen ihre Kochkultur mit, die sich mit jener der Einheimischen mehr und mehr vermischt.

Italianità nicht mehr nur in den Ferien, sondern in jedem Dorf
Ich erinnerte ich mich zurück an die Fünfzigerjahre, als wir mit grosser kulinarischer Vorfreude in den Sommerferien an die Adria fuhren. Denn nur dort gab es die feinen Tomatenspaghetti, die mit Panna bedeckten Tortellini und die Pizza „Quattro stagioni“. Inzwischen sind mehr als eine halbe Million Italiener*innen in die Schweiz eingewandert und haben diese Köstlichkeiten mitgebracht. Heute gibt es beinahe in jedem grösseren Dorf eine Pizzeria, wir schlürfen statt fadem Filterkaffee feinen italienischen Espresso und haben kulinarisch noch vieles mehr von der Cucina Italiana übernommen.

Geben schon bald Klimaflüchtlinge unserer Küche neue Impulse?
Yasmin Khan befürchtet, dass bis zum Jahr 2050 über 150 Millionen Menschen als Klimaflüchtlinge ihren bisherigen Wohnort verlassen müssen, weil ihre Inseln, Städte und Landstriche unter Wasser stehen werden. Mittelfristig sei darum ein Massenexodus Richtung Europa, Nordamerika und Australien zu erwarten. Heute gelten vielerorts harte Regimes gegen unerwünschte Einwanderung und Populist*innen gewinnen Wahlen mit wütender Hetze gegen alles Fremde. Doch sollte uns bewusst sein, dass diese 150 Millionen Klimaflüchtlinge auch ein Lebensrecht haben, dass sie unsere Kultur und Kulinarik bereichern und sie unsere alternde Gesellschaft auch als Arbeitskräfte, Konsument*innen und Zahlergeneration für unsere Altersrenten unterstützen können.

Doch genug der Reflektion über Völkerwanderungen und die Küchen der Welt. Ich freue mich, liebe Lisa, am 5. September nach der Landsgemeinde zusammen mit Dir eine traditionelle Glarner Kalberwurst (oder deren vegane Schwester) zu essen. Können wir dann auch auf das neue kantonale Energiegesetz anstossen, das von den Glarner Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern hoffentlich angenommen wird?

Herzliche und sonnige Grüsse
Walter

Über die Schreibenden:

Dr. Walter Steinmann, *1951, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE, 2001-2016), ist Leiter des Advisory Board der Powertage und unabhängiger Berater verschiedener Projekte. Er engagiert sich für Start-ups und hilft mit Innovationen voranzubringen und die Transition im Energiesektor effizient zu gestalten. www.steinmannconsulting.ch

Lisa Hämmerli, *1993, ist im Glarnerland aufgewachsen und hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Anschliessend arbeitete sie an der ETH als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Wahrnehmungsforschung zu negativen Emissionstechnologien. Heute arbeitet sie in einem Ingenieurbüro, welches auf Abbau- und Deponieprojekte spezialisiert ist. In ihrer Freizeit engagiert sie sich bei der Klimabewegung in Glarus. Als Co-Präsidentin von KlimaGlarus.ch setzt sie sich für mehr Klimaschutz ein. www.klimaglarus.ch


#klimaglarus.ch

Autor

KlimaGlarus.ch

Categoria

  • Natura
  • Società
  • Uomo / tecnologia

Pubblicato alle

10.08.2021

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