Walter Steinmann, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Lisa Hämmerli von der Klimabewegung Glarus.
Walter Steinmann, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Lisa Hämmerli von der Klimabewegung Glarus.

Politica, Scienza, Società & persone

Oft erst im zweiten Anlauf…

Der Briefwechsel zweier Klimabewegter – zwischen Lisa Hämmerli schreibt an Walter Steinmann – erscheint derzeit auf www.powertage.ch.

Liebe Lisa

Weisst Du, dass in unserem Land kaum je eine Energie- oder Klimavorlage bei der Volksabstimmung gleich eine Mehrheit fand? Meist brauchte es zwei Anläufe. Selbst der erste Entwurf für einen Energie-Verfassungsartikel scheiterte 1983 wegen des Ständemehrs: Hätten sich damals zusätzliche 57 Urnerinnen und Urner zu einem Ja durchringen können, wäre die Vorlage durchgekommen. Im Jahr 2000 scheiterte eine erste Vorlage für die Förderung erneuerbarer Energien knapp in der Volksabstimmung. Im Jahre 2002 wurde dann das Elektrizitätsmarktgesetz verworfen. Erst 2009 konnten dann wesentliche Elemente einer Strommarktregulierung zusammen mit der Förderung erneuerbarer Energien über eine Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) eingeführt werden.

Wer hat schon die 7.25 Fr. Rückerstattung pro Monat je wahrgenommen?

Das jetzt zur Abstimmung gekommene CO2-Gesetz war aus meiner Sicht eine echte „Murks“-Vorlage. Zuerst versenkte im Nationalrat eine unheilige Allianz von SVP und SP den Entwurf. Dann setzten sich im Ständerat die Freisinnigen unter Führung von Ruedi Noser mit ihrem Ansatz des Ausbaus marktwirtschaftlicher Lenkungsinstrumente durch. Ein Grossteil der erhobenen Abgaben wäre den Bürgerinnen und Bürgern zurückerstattet worden. In der Kampagne konnte dies dann leider nicht plausibel dargelegt werden. Denn der heute schon bestehende Mechanismus ist weitgehend unbekannt. Ich persönlich habe schon mal gestandenen Politikern meine Krankenkassenpolice zeigen müssen, um ihnen klarzumachen, dass wir alle bereits heute einen Betrag vom 7.25 Fr. pro Monat zurückerhalten. Trump hat Checks verteilt, vielleicht müsste es auch bei uns so funktionieren…

Gehen wir Richtung von zwei Schweizen?

Überhaupt Trump und USA: Adrian Vatter von der Uni Bern hat in seiner ersten Analyse eine Polarisierung und Radikalisierung festgestellt wie wir sie extremer nur noch in den USA erleben. Es wird nicht mehr sachlich argumentiert, sondern geschrien. Gegner werden auch mal körperlich angegriffen, und in den sozialen Medien sowie in den Blättern der neuen Rechten werden einzelne Personen richtig fertiggemacht.

Generell leben wir in der Schweiz immer mehr in zwei völlig verschiedenen Welten: Hier die mehrheitlich rot-grünen Zentren und Städte, wo die Wirtschaft pulsiert und man viele öffentliche Betreuungs- und Konsumangebote geniesst. Auf der anderen Seite die ländliche Schweiz, wo nicht alle fünf Minuten ein Tram fährt und das Auto auch aus Notwendigkeit ein Teil des Alltags ist, wo Dorfläden und die Post schliessen und wo man recht misstrauisch auf die scheinbar von den Städtern diktierte Politik blickt. Am vergangenen Wochenende gingen diese bäuerlich-ländlichen Gebiete weit zahlreicher an die Urne als die Städter und versenkten nicht nur die Agrarinitiativen sondern im gleichen Aufwasch auch gleich das CO2-Gesetz.

Manchmal brauchen auch Freunde der Freiheit ein wenig Druck oder gar Zwang

Anreize wie Bonus/Malus appellieren an die Eigenverantwortung und unterstützen Verhaltensänderungen, die dazu beitragen, die Klima- und Energieziele zu erreichen. Als Ökonom liebe ich derartige marktwirtschaftliche Lenkungsinstrumente. Denn sie weisen mehr Freiheitsgrade auf als hoheitliche Vorschriften und Verbote. Aber hat uns nicht die Pandemie gezeigt, dass Freiwilligkeit ihre Grenzen hat? Kaum jemand trug nach ersten bundesrätlichen Appellen freiwillig die Maske. Aber als dann der Bundesrat an einem Freitag die Maskenpflicht ab dem darauffolgenden Montag einführte, hatten die meisten bereits am Samstag die Maske aufgesetzt. Manchmal brauchen auch wir, die wir alle ein wenig Glarner und damit sehr freiheitsliebend sind, etwas Druck oder gar Zwang und nicht nur Anreize…

Was kommt in die CO2-Expressvorlage?

In den kommenden Wochen wird eine intensive Diskussion erwartet. Sie soll klären, welche Elemente des bestehenden CO2-Gesetzes verlängert werden und welche neuen Elemente in einem Expressverfahren gepusht und ab 2022 in Kraft treten sollen. Beispielsweise müssten sonst auch Unternehmen, die sich mit einer Zielvereinbarung zu CO2-Reduktionen in ihrem Betrieb verpflichtet haben, ab Januar 2022 die CO2-Abgabe bezahlen. Welche weiteren Elemente werden in dieses Paket Eingang finden? Ich bin gespannt…

Jetzt steht eine grosse Energievorlage vor dem Parlament

Bald aber wird sich das Interesse aber voll auf das Paket verlegen, das am vergangenen Freitag vom Bundesrat verabschiedet wurde: Die sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Neben einigen längst fälligen Revisionspunkten im bisherigen Stromversorgungsgesetz werden neue Instrumente für den Zubau von erneuerbaren Energien vorgeschlagen. So soll künftig der Zubau grösserer Anlagen über Ausschreibungen erfolgen, bei denen jene den Zuschlag erhalten, die das günstigste Angebot machen. Auch hier soll es also mehr Wettbewerb geben.

Winter-Stromlücke klimaneutral schliessen

Während wir im Sommer grössere Überschüsse bei unserer Stromproduktion haben, sind wir im Winter knapp. Deshalb soll nun diese Lücke mit dem Zubau von 2 TWh klimaneutraler Stromproduktion für mögliche Winterengpässe geschlossen werden. Dabei ist vor allem ein Ausbau der Wasserkraft angedacht, aber auch eine Solarinitiative in den Bergen könnte Sinn machen. Diese Investitionen soll über einen Winterzuschlag von 0,2 Rp/kWh finanziert werden.

Brauchen wir 4 Gaskraftwerke?

Durch die Pandemie und andere Ereignisse sind wir sensibler für Fragen der Versorgungssicherheit geworden. Auch im Energiebereich. Dank Pflichtlagern ist die Versorgungssicherheit bei Benzin, Diesel und Gas für mehr als 90 Tage garantiert. Auch im Strombereich macht eine strategische Reserve Sinn. Wie man hört, vertreten bestimmte Kreise die Idee, den Bau von gleich 4 Gaskraftwerken an die Hand zu nehmen, so sei die Versorgungssicherheit am besten garantiert.

Oder Anreize zur Konsumverlagerung und Reservehaltung?

Aber auch hier können gezielte ökonomische Anreize dieselbe Wirkung zu günstigeren Bedingungen erzielen. So könnten beispielsweise Stromgrossverbraucher ihre Anlagen für die ordentliche Jahresrevision im stromknappen März statt im Sommer abstellen. Oder die Betreiber von Pumpspeicheranlagen könnten einen Teil des Speichers für die Stromproduktion am Ende des Winters bereithalten. BFE-Direktor Benoît Revaz rechnet dafür mit Kosten von 20 – 30 Mio Fr. jährlich. Ein Betrag, mit dem 4 Gaskraftwerke kaum über Jahre auf Reserve gehalten werden können.

Liebe Lisa, die Diskussionen verlagern sich wohl in den nächsten Monaten von der Klima- zur Energiefront. Aber auch dort geht es um Dinge, die uns wichtig sind: Der Zubau von erneuerbaren Energien sowie der Erhalt der Versorgungssicherheit – alles mit einem scharfen Blick auf die Klimaziele und damit auf Netto-Null. Ob sich da Mehrheiten finden lassen, die nicht nur an ihre kurzfristigen Eigeninteressen denken?

Ich wünsche Dir eine gute Woche,
herzlich
Walter

PS: Mein Bild zur Woche habe ich am Samstag auf der e-bike-Tour kurz vor dem Gotthardpass geschossen – die 5 Windräder sind schön in die Landschaft eingebettet und sie machen weit weniger Lärm als der Dampfabzug der Hotelküche des Hospiz. Warum gibt es derart viel Opposition gegen jeden Windpark? Kommt der eventuell auch von Extremisten?

#klimaglarus.ch

Über die Schreibenden:

Dr. Walter Steinmann, *1951, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE, 2001-2016), ist Leiter des Advisory Board der Powertage und unabhängiger Berater verschiedener Projekte. Er engagiert sich für Start-ups und hilft mit Innovationen voranzubringen und die Transition im Energiesektor effizient zu gestalten. www.steinmannconsulting.ch

Lisa Hämmerli, *1993, ist im Glarnerland aufgewachsen und hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Anschliessend arbeitete sie an der ETH als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Wahrnehmungsforschung zu negativen Emissionstechnologien. Heute arbeitet sie in einem Ingenieurbüro, welches auf Abbau- und Deponieprojekte spezialisiert ist. In ihrer Freizeit engagiert sie sich bei der Klimabewegung in Glarus. Als Co-Präsidentin von KlimaGlarus.ch setzt sie sich für mehr Klimaschutz ein. www.klimaglarus.ch

Autor

KlimaGlarus.ch

Categoria

  • Natura
  • Società
  • Altra politica

Pubblicato alle

23.06.2021

Webcode

www.guidle.com/Vm9AE8