Der Autor zeigt eine Stereoskopie
Der Autor zeigt eine Stereoskopie
Jarryd Lowder
Jarryd Lowder
Historische Karten mit stereografischen Bildern der Schweiz
Historische Karten mit stereografischen Bildern der Schweiz
Die Vorschau zum Buch Stereographic Switzerland
Die Vorschau zum Buch Stereographic Switzerland

Actualités nationales / internationales, Culture

Plastische Ansichten der Schweiz – wiederentdeckt und wiederbelebt

Der in Glarus wohnhafte US-amerikanische Fotograf Jarryd Lowder publiziert im Oktober sein erstes Buch „Stereographic Switzerland“ im Christoph Merian Verlag. In Zürich nahm das Landesmuseum das Thema auf und zeigt noch bis 17. Oktober die Ausstellung „Stereomania“.

Es ist eine spannende und auch persönliche Geschichte, die Jarryd Lowder über den Weg zu seinem Buch „Stereographic Switzerland“ erzählt. Man spürt die Begeisterung und auch Ausdauer, mit denen er dem Thema nachging , das er vor einigen Jahren entdeckte: „2017 zeigte mir in New Glarus, im Swiss Center of North America, dessen Präsidentin Beth Zurbuchen deren grosse Sammlung von Stereo-Fotografien. Donald G. Tritt hatte sie seit den 1970-er Jahren zusammengetragen. Vor 150, 100 Jahren haben vor allem amerikanische Unternehmen mit der Stereo-Fotografie ein Massenmedium geschaffen, nach dem  die Menschen verrückt waren. Diese Unternehmer, etwa Underwood & Underwood oder Keystone View Company, waren die ‘Bill Gates’ von damals. Die Konzerne schickten Vertreter, wie etwa Studenten los, welche an den Haustüren läuteten, um die 3-D-Bilder zu verkaufen. Gebildete Menschen legten sich oft ganze Bibliotheken von Stereoansichten vieler Länder zu, die Karten waren in sechs Sprachen hinten beschriftet, manchmal mit ausführlichen Erklärungen.“ Zur Herstellung der Bilder wurde kein Aufwand gescheut und weite Reisen nach Europa unternommen, um dort spannende Motive zu fotografieren. Wie etwa Alphornbläser vor Bergmassiven, Gletscher, oder die Bevölkerung in ihren Trachten vor Chalets, aber auch Stadtszenen wie beim Zytglogge-Turm in Bern. „Es brauchte ganze Crews und ein riesiges Equipment, die auf Ozeandampfern und dann zu Land transportiert wurden, um noch vor Ort in den Dunkelkammer-Zelten die Fotos zu entwickeln, welche als Negative damals noch auf schweren Glasplatten festgehalten waren“, weiss Lowder.


Vorläufer der Technik waren Daguerreotypien, aber auch wissenschaftliche und künstlerische Zeichnungen gewesen, oft koloriert; jedoch konnten sich meist nur Gutbetuchte damals solche Bilder leisten. „Die Maler dieser Werke wären nun arbeitslos geworden, doch so machten sie als künstlerische Koloristen weiter“ erzählt Lowder weiter. So konnte, wer ein besonders lebendiges 3-D-Bild wünschte, für einen kleinen Aufpreis farbige Stereographien erwerben. Auch bei den optischen Apparaten zur Betrachtung gab es Unterschiede – vom schön geschnitzten Holzkasten bis zum einfacheren und transportablen Handgerät - „Handy“, könnte man sagen.


„Ich war begeistert und wollte diese Sammlung in die Schweiz bringen“, so Lowder. Er nahm Kontakt zum Landesmuseum in Zürich auf, wo man sich interessiert zeigte. Bis  die aktuelle Ausstellung (bis zum 17. Oktober) realisiert werden konnte, brauchte es aber noch einige Anstrengungen. Lowder blieb beratend dabei, den Lead übernahm Aaron Estermann, der auch auf der Website des Landesmuseums in interessanten Kurzvideos Infos zur Ausstellung und deren Background vermittelt. „75 Prozent der in Zürcher Ausstellung gezeigten Stereobilder stammen aus dem Fundus der Tritt-Sammlung von New Glarus“, erläutert der Wahlglarner Jarryd Lowder nicht ohne Stolz. „Sie sind dort jedoch, anders als im Buch, nach Regionen geordnet, was Sinn macht.“


Die Idee zum Buch kam auf, weil er diese eindrucksvolle Dokumentation längerfristig für Interessierte zugänglich machen wollte, und dies auch im heimischen und privaten Rahmen – wie früher, wo man vom Sofa aus „auf Reisen“ in ferne Länder ging. Ein guter Ausstellungskatalog wäre zu aufwändig, nicht machbar gewesen. Also sah sich Lowder, der sich beruflich als Fotograf, Gestalter und Videokünstler auch mit der digitalen Restaurierung alter Bilder beschäftigt, nach einem passenden Verlag um. Den fand er im Christoph Merian Verlag, welcher im entsprechenden Segment angesiedelt ist und seinen Fokus schweizweit ausrichtet.


Am 8. Oktober 2021 ist die Buchvernissage im Landesmuseum Zürich. Im Moment kann man bereits anhand der  Verlagsvorschau und einigen mitgebrachten stereoskopischen Bildkarten einen ersten, sehr vielversprechenden Eindruck gewinnen. Das unerlässliche Instrument zum Buch ist die beiliegende Stereo-Brille, welche die Bildwelt plastisch entstehen lässt. Nebst den Stereobildern hat es auch zweidimensionale, künstlerisch kolorierte Fotos. Und natürlich Text: Für das Vorwort konnte der Botschafter der Schweiz in den USA gewonnen werden; über die Stereoskopie als solche schrieb Ausstellungsmacher Aaron Estermann. Aber vor allem steckt viel Recherche und Schreibarbeit von Jarryd Lowder darin. Er  beleuchtete auch den Hintergrund der ganzen damaligen Produktion von Stereobildern und der Bedeutung für Tourismus und Bildung, sowie die Verbindung der Schweizer und der Amerikanischen Kultur. Stichwort: „Um 1880 war der Höhepunkt der Immigration von Schweizern in die USA. 80,000 Personen liessen sich dort nieder.“ Den fruchtbaren Austausch zwischen beiden Ländern setzt er als kultureller Brückenbauer fort und findet: „Es ist für mich als Immigranten eine grosse Ehre, ein solches Projekt hier in der Schweiz realisieren zu dürfen!“


Das Buch werde erhältlich sein über die Schweizer Buchhandlungen, aber auch im Export. Mit Englisch und Deutsch ist es entsprechend zweisprachig ausgelegt. Ob und wann es auch im Glarnerland eine Buchvorstellung gibt, ist noch offen. Insgesamt beträgt die Auflage 2000 Exemplare.


Text und Bilder: Swantje Kammerecker

Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich, 23.07. - 17.10.2021:
Stereomania - Die Schweiz in 3D. Buch  Jarryd Lowder (Hg.) Stereographic Switzerland. Oktober 2021, 192 Seiten, 164 teils farbige Abbildungen, gebunden, 22,5 x 28 cm, mit Stereobrille.


Zum Buch (Aus der Verlagsvorschau): Die Stereofotografie ist ein um 1850 erfundenes Verfahren zur Erzeugung dreidimensionaler Bilder. Deren Betrachtung durch einen eigenen Apparat ermöglichte es, die abgebildeten Gegenstände in atemberaubender Plastizität wahrzunehmen. Das Buch gibt Einblick in die einzigartige Stereobilder-Sammlung des Schweizamerikaners Donald G. Tritt, die heute Teil der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums ist. 
 


Auszug aus dem Nachwort zu Stereographic Switzerland von Jarryd Lowder


Donald Gustav Tritt wurde 1931 in Columbus, Ohio, geboren und verbrachte den grössten Teil seines Lebens in diesem Bundesstaat. Seine Vita liest sich in vielerlei Hinsicht wie die eines typischen Schweizamerikaners: Er war beruflich ausgesprochen erfolgreich, fühlte sich tief verbunden mit der schweizerisch-amerikanischen Geschichte und Kultur, er war ein Sammler, ein Reisender, Professor und Familienoberhaupt. Die Geschichte der Familie Tritt hat ihre Anfänge im Simmental im Berner Oberland, sie reicht zurück bis zu seinem Grossvater Joseph Gustav Tritt, der um 1866 mit seiner ersten Frau Maria Carolina Tschus nach Ohio auswanderte (…). Donald Tritt erlebte eine typische Jugend im Mittleren Westen der Nachkriegszeit: Er schloss sich den Pfadfindern an und erlangte dort den Rang eines ‹Eagle Scout›, eine in der amerikanischen Kultur fest verankerte Auszeichnung. Er studierte an der Ohio State University, promovierte später in klinischer Psychologie an der University of Chicago und wurde Professor für Psychologie an der Denison University. Im Alter von 30 Jahren reiste Donald zum ersten Mal in die Schweiz. (…).


In den 1970er-Jahren erwachte auch Donalds Interesse am Sammeln von Stereofotografien mit Ansichten der Schweiz. Seine Motivation war, dass er unbedingt wissen wollte, wie das Land ausgesehen hatte, das seine Grosseltern verlassen hatten. Im Jahr 1975 fand in der Nähe von Columbus zufällig die erste Tagung der neu gegründeten National Stereoscopic Association statt. Der Anlass brachte viele Stereoskopie-Händler vor Ort, die jedes erdenkliche Genre an Bildern im Angebot hatten und über einiges Fachwissen zur Stereoskopie verfügten. Donalds Interessengebiet war sehr fokussiert, sodass es ihm gelang, sich einige ‹Boxed Sets› mit nahezu makellosen Bildern und zudem eine Vielzahl einzelner Stereobilder der Schweiz zu sichern. Die ersten sieben Tagungen der National Stereoscopic Association wurden bis auf eine (Chicago, 1976) in Ohio abgehalten. Donald reiste aber auch zu Tagungen in Pennsylvania und Indiana und erweiterte seine Sammlung stetig bis ins Jahr 1992. Als diese Sammlung von Stereoskopien, Büchern, Drucken, Landkarten, Postkarten und vielen weiteren Gegenständen mit Bezug zur Schweiz und zur schweizerisch- amerikanischen Kultur zu beträchtlicher Grösse angewachsen war, begann er sich über einen geeigneten Aufbewahrungsort Gedanken zu machen, um seine (und andere) Schätze zu archivieren und anderen Menschen zugänglich zu machen. Dies war die Geburtsstunde des Swiss Center of North America, das nicht nur als Archiv gedacht ist, sondern auch als Ort für genealogische Forschung und lebendigen kulturellen Austausch dient. Dank der Unterstützung vieler schweizerisch-amerikanischer Organisationen, der Gemeinde New Glarus, des Staates Wisconsin und des Schweizer Kantons Glarus konnte das Swiss Center of North America 2008 eröffnen. 2012 fand Tritts Sammlung dort ein neues Zuhause.


Ich selbst (Jarryd Lowder) wuchs in den 1970er-Jahren in Iowa auf und reiste gelegentlich zu Familienbesuchen nach Wisconsin. Somit hatte ich bereits davon gehört, dass es dort ein Dorf mit Namen New Glarus gab. Aber erst als ich selbst nach Glarus in der Schweiz zog, verstand ich die ganze Dimension des Verhältnisses zwischen den beiden Orten. New Glarus ist 1845 von Schweizer Einwanderern aus dem Kanton Glarus gegründet worden, in dem damals als ‹Wisconsin-Territory› bekannten Gebiet. Nur wenige Jahre, nachdem die Schweizer Einwanderer ihr Dorf aus dem Nichts aufgebaut hatten, mussten sie das heimatliche Glarus finanziell unterstützen, als es nach einem verheerenden Grossbrand im Mai 1861 in Schutt und Asche gelegt worden war.
Bei einem Besuch in New Glarus im Jahr 2017 traf ich die Präsidentin des Swiss Center of North America, Beth Zurbuchen. Als sie mich im Zentrum herumführte, sah ich auf einem Tisch ein Stereoskop stehen. Ich wusste, worum es sich handelte – als Kind besass ich einen View-Master, und später, als ich in New York lebte, eine bescheidene Sammlung von Stereobildern mit Ansichten von Manhattan sowie ein Holmes-Stereoskop. Ich fragte Beth, ob sie auch Stereofotografien hätte, in der Hoffnung auf ein paar hübsche Einzelstücke. Beth deutete auf mehrere mit Kisten gefüllte Regale. «Ja, wir haben diese hier», antwortete sie. «Alles Darstellungen der Schweiz.» Mir stand der Mund offen vor Staunen und ich begriff sofort, dass es sich um eine beachtliche Sammlung handeln musste. Sie erklärte mir, dass dies die Schenkung eines grosszügigen Stifters namens Donald Tritt sei.



Autor

Kulturblogger Glarus

Catégorie

  • Art / dessin
  • Coutumes, folklore / célébrations
  • Culture
  • Voyage

Publié à

16.09.2021

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