Landsgemeinde 2018: Andrea Bettiga wird Landammann. Die Übergabe 2020 an Marianne Lienhard kann nicht auf dem Zaunplatz stattfinden. • Foto: gl.ch
Landsgemeinde 2018: Andrea Bettiga wird Landammann. Die Übergabe 2020 an Marianne Lienhard kann nicht auf dem Zaunplatz stattfinden. • Foto: gl.ch

Kultur, Regionale News

Die nicht gehaltene Landsgemeinderede

Die Landsgemeinde vom 6. September musste aufgrund des Coronavirus abgesagt werden. Der abtretende Landammann Andrea Bettiga hält trotzdem eine Rede – im Public Newsroom www.gl.ch

Landsgemeindesonntag. Das ist dieses kaum in Worte zu fassende Gefühl von Vorfreude und Spannung. Auf dem Fussweg nach Glarus sei es jeweils besonders stark, sagt der abtretende Landammann Andrea Bettiga. Am Sonntag hätte er das Zepter, bzw. das Landsgemeindeschwert an Frau Landesstattthalter Marianne Lienhard weitergegeben. Benjamin Mühlemann wäre als Landesstatthalter nachgerückt. Diese Wahl wird nun der Landrat anstelle der Landsgemeinde vornehmen. Die Landsgemeinde sei der Höhepunkt des Jahres, sagt Andrea Bettiga. Und fügt an: «Landammann sein zu dürfen, ist das ehrenvollste und würdigste Amt, das ein Politiker ausführen darf. Weltweit.» Nun richtet sich der Landammann nicht vom Bock an die im Ring versammelten Mitlandleute. Auf die Landsgemeinderede muss trotzdem nicht verzichtet werden:

von Andrea Bettiga, abtretender Landammann

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Es ist Landsgemeinde-Sonntag!

Aber wir sind heute nicht unter freiem Himmel versammelt, um miteinander als Glarnerinnen und Glarner zu raten, zu mindern und zu mehren.

Vieles ist in diesem Jahr anders – so auch, dass ich mich in virtueller Form an Sie wenden muss.

Der Grund liegt in einem kleinen Virus, das uns seit dem März fest in seinen Fängen hält und unser politisches, wirtschaftliches und kulturelles Leben knebelt.

In kaum vorstellbarem Ausmass schränkt es unsere persönlichen Freiheiten ein.

Im Jahr 2019 habe ich die Landsgemeinde mit folgenden Worten eröffnet: «Es scheint mir manchmal so, als sei die Welt etwas aus den Fugen geraten. Sie ist schnelllebig und komplex. Die Gesellschaft kommt nicht zur Ruhe. Es wirkt, als ob die Welt nach ihrem verloren gegangenen Gleichgewicht sucht.»

Die Corona-Pandemie verstärkt nun diesen Prozess in ungeahnter Art und Weise.

Das COVID-19-Virus beflügelt die menschliche Vorstellungskraft. Es sind goldene Zeiten für Fabulierer und Fantasten, leider aber auch für Angstmacher und krude Denkmodelle.

In Krisenzeiten haben Verschwörungstheoretiker, Untergangspropheten und mit vermeintlichem Überwissen ausgestattete «Weltentschlüssler» immer Hochkonjunktur.

Wir werden derzeit überschwemmt mit widersprüchlichen und teils absurden Informationen zur Pandemie, die niemand einordnen kann.

Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO kämpfen wir nicht nur gegen eine Epidemie, sondern auch gegen eine Infodemie.

Fake News verbreiten sich schneller als dieses Virus, sind aber umso gefährlicher.

Die Behörden, aber auch die Medien wären aufgerufen, zu informieren, ohne Hysterie zu verbreiten. Leider sieht die Realität oft anders aus: Manche Gesundheitsbehörden irritieren mit Widersprüchen, gewisse Medien und obskure Foren schüren die Angst in uns – vom frühen Morgen bis spät in die Nacht.

Umso verständlicher ist der Umstand, dass Unsicherheit und Furcht sich in der Bevölkerung breitmachen.

Vereinzelte Stimmen dachten sogar, die Landsgemeinde könnte künftig durch eine Urnenabstimmung ersetzt werden.

Die Glarner Landsgemeinde zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger (gestützt auf unsere Verfassung) während der Versammlung Anträge stellen und für ihre Anliegen werben dürfen. Oft wird auch nicht an Kritik an den Mächtigen gespart.

Dies ist der Garant für die Dynamik dieser Volksversammlung und Grundstein für all die wichtigen politischen Meilensteine, die wir in der Vergangenheit erzielen konnten.

Dies ist einzigartig auf der ganzen Welt und unser Kanton wird weit über die Kantons- bzw. Landesgrenzen hinaus beneidet.
Hochvertraute liebe Mitlandleute

Ich fordere Sie auf: Auch wenn wir die Hygieneregeln und den sozialen Abstand selbstverständlich einhalten, lasst uns ausbrechen aus dieser Käseglocke aus Angst und Unsicherheit!

Wir dachten noch bis vor wenigen Monaten, absolut unbesiegbar zu sein – dank unseren zivilisatorischen Leistungen, dank ungeheurem Fortschritt in Wissenschaft, Medizin und Technik.

Vor uns stand die goldene Zukunft.

Die Corona-Krise hat uns mit einem Schlag aus dieser Selbstüberschätzung herausgerissen.

Vielleicht ist dies aber ein Wink, stattdessen mehr Demut, Respekt und Solidarität zu leben – gegenüber unseren Mitmenschen und der Natur.

In diesem Sinn bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.

Autor

Staatskanzlei des Kantons Glarus

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Kategorie

  • Kultur
  • Glarus

Publiziert am

06.09.2020

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