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Kultur

Kulturberichterstattung in der Krise?

An der Tagung zum Thema "Kulturberichterstattung" in Solothurn hat Publizist Matthias Zehnder die Situation in der Medienwelt kritisch dargestellt.

Die Problematik vorneweg: Früher sind Journalisten auch zu Vernissagen oder zu Hauptproben gekommen. Heute kommt vielleicht noch ein Journalist, ob dann eine Berichterstattung in der Zeitung folgt, ist ungewiss. Die Universität Zürich hat gezeigt, dass sich der Umfang der Kulturberichterstattung stark reduziert hat. In der Deutschen Schweiz sind es 9% und in der Westschweiz 13% Anteil an der gesamten Berichterstattung. Besonders betroffen sind kleine Veranstaltungen, unabhängige Kunstschaffende, Schriftstellerinnen, Musiker. Der grosse Anteil der Berichterstattungen entfällt auf Meldungen und Berichte, die vor allem von Agenturen verbreitet worden sind. Berichte, auf der Basis von Erlebnissen vor Ort, sind selten geworden. Grossveranstaltungen, wie die Art Basel, können sich über die Medienaufmerksamkeit nicht beklagen. Zusammengefasst:

Es ist ein Rückgang zu beobachten ...

-bei der Berichterstattung über Aufführungen, Ausstellungen und Neuerscheinungen

. bei der Berichterstattung auf „Blockbuster“ 

. bei der Reduktion der Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung

Warum berichten die Zeitungen immer weniger über Kultur? Für Matthias Zender gibt es drei wesentliche Gründe: Es ist die „Aufmerksamkeitsfalle“, die „Mantelisierung“ und die „Agenda-Allergie“. Die Medien folgen der Reichweite von Nachrichten. Sie leben davon, dass  ihre Artikel auf den Bildschirmen von möglichst vielen Menschen angesehen werden. Die Inhalte werden so aufbereitet, dass möglichst viele Menschen die Überschrift anklicken oder auf ihrem Handy antippen. Es kommt also auf die Aufmerksamkeit an.

Archaische Regungen
Die andere Seite ist die „Medientauglichkeit“. Doch, was ist das? „Sex“ und „Crime“ sprechen archaische Regungen an, welche die Wahrscheinlichkeit der Aufmerksamkeit erhöhen. Der Geschlechtsverkehr auf der Bühne im Schauspielhaus sorgt dafür, dass in der Tagesschau ausführlich über die Theateraufführung berichtet wird. Gefahren, Skandale, Sex oder „Jöh-Effekte“ bei Menschen und Tieren haben ein hohes Aufmerksamkeitspotenzial. Kulturberichte entsprechen in der Regel, mit Ausnahmen, nicht den Regeln der Boulevard-Presse.

In den Medien hat eine starke „Mantelisierung“ stattgefunden. In zusammengeschlossenen Regionalzeitungen werden gemeinsame Inhalte publiziert. Die gleichen Nachrichten können dann in Zürich, St. Gallen, Bern oder in ländlichen Agglomerationen gelesen werden. Damit die vorhandenen Kulturseiten funktionieren, kann sie nicht von der Lokalkultur handeln. Die Berichterstattung wird auf bekannte, oft internationale Namen reduziert. Eine Auseinandersetzung mit dem Kulturschaffen findet immer weniger statt. Der Grund für diese Ausrichtung liegt bei den Kosten. Die Kosten für Redaktion, Layout und Produktion einer Zeitung sind weitgehend unabhängig von der Auflage, also vom Verkaufserfolg einer Zeitung. Ob eine Zeitung für 100 000 oder 200 000 Leserinnen und Leser produziert wird, kostet in etwa gleich viel. Die Verlage haben Wege gesucht, die Sockelkosten zu teilen. Es gibt einen Widerspruch zwischen dem ökonomisch sinnvollen und dem, was publizistisch Sinn macht.

Ökonomische Sicht
Aus Sicht der Ökonomie müssen die Verlage so viele Inhalte wie möglich zentral produzieren um die Kosten zu teilen. Aus publizistischer Sicht sollten sie so viele Inhalte wie möglich regional publizieren. Dies hat zu den Zusammenschlüssen von CH-Media und TX-Group geführt. Die geografischen Unterschiede sind eliminiert. Die Aufmerksamkeit wird über Exklusivität erreicht. Gut ist, was exklusiv ist, ein Alleinstellungsmerkmal.

Kulturberichterstattung besteht aber zum grossen Teil aus Veranstaltungen, Konzerten, Theateraufführungen, Vernissagen oder Lesungen. Das sind „Agenda-Stoffe“. Über diese Agenda-Stoffe rümpfen die Medien die Nase. Die meisten Medien kämpfen für das wirtschaftliche Überleben. Bisherige Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr. Es bringt also nichts, ans kulturelle Gewissen der Verleger zu appellieren. Die Medien könne sich lokale Kultur nicht mehr leisten. Zur Lösung des Problems braucht es ökonomische Antworten.

Mögliche Lösungen

Matthias Zender sieht folgende Möglichkeiten:

Eine 5%-Budget-Regel könnte vielleicht helfen. Kulturjournalismus ist aber ein Teil der Kultur und verdient deshalb auch Förderung. Kultur, die keine mediale Resonanz findet, verfügt jedoch nicht über jenen Echoraum, den sie benötigt. Die Frage lautet also wieder: „Was ist Medientauglichkeit?“

Ein regionaler kulturmedialer Service Public könnte in der kleinteiligen Schweiz helfen. Dies könnte Aufgabe einer kantonalen Stiftung sein, die aus privaten Stiftungsgeldern, dem Lotteriefonds und dem Kulturbudget des jeweiligen Kantons gespiesen wird.

Die Stiftung könnte die Kulturangebote in lokalen Medien, Kulturzeitungen, Onlineplattformen fördern. Die Schweiz braucht einen kleinteiligen Kulturjournalismus, weil es grosse regionale Unterschiede gibt. Die Nähe zu den Menschen ist im Zentrum, denn da wird Kultur produziert.

Aus meiner Sicht sind auch folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Die Aufnahme von Informationen hat sich stark verändert. Social Media spielt eine grosse Rolle, sei es bei der Skandalisierung von Inhalten oder persönlichen Angriffen. Alles geht schnell und ist international einsehbar, als Antreiber für persönliche Profilierungen.  Kurze Nachrichten werden bevorzugt. Für „20 Minuten“ braucht man nicht 20 Minuten. Nachrichten und Informationen werden mit „like“ quittiert; ob verstanden oder nicht verstanden ist sekundär. Am liebsten werden Nachrichten gelesen, die der vorgefassten Meinung entsprechen.  Je mehr „Likes“, desto grösser ist der Anteil an Falschinformationen.

Das Textverständnis hat bei Schulabgängern stark abgenommen. Das Gelesene wird nur noch knapp verstanden. Es ist auch schwierig geworden, zwischen Fakenews und Faktennews zu unterscheiden. Der  „funktionale Analphabetismus"  liegt seit Jahren bei rund 10% der Schulabsolventen; das heisst, Lesen, Rechnen und Schreiben sind schwach ausgeprägt.

Die Kunsttexte  sind zu einem grossen Teil unverständlich. Ein konkretes Beispiel aus der Fachzeitschrift „Kunstbulletin“ und Kommentare zum „swissaward“:

„Aus der Kommunikationsgesellschaft stammende Effizienz steht ein weisses Rauschen gegenüber und untermalt die Sprache wirkungsvoll – kulturelle Grenzen verschwinden und Schichten der Geschichte verschmelzen, um einer rätselhaften und poetischen Erzählung Raum zu geben. Masstäblichkeiten formen das Begehren des Raums und verweisen von Erscheinungsbild zu Realpräsenz und zu Fragen der Identität. Der White Cube betont geistige Beweglichkeit, Produktion, Kreisläufe und den eklatanten Mangel an Sitzgelegenheiten“.

So geht das nicht. Für wen werden solche „Kunstblasen-Texte“ mit Inhaltsleere überhaupt geschrieben? – Wahrscheinlich für sich selbst. So kann man sich auch weiterbilden.

Kultur ist zum Teil elitär geworden. Die Kunstmesse Basel ist ein Beispiel. Milliardäre kaufen zu horrenden Preise Kunst als Ersatzreligion und lösen Neid aus, wenn ein noch reicherer Milliardär noch höhere Preise bezahlt hat. Die Corona-Krise hat die Reichsten noch reicher gemacht und es ist noch mehr Geld für das Kaufen von Kunst im Kreislauf. Für Interessenten rund um das Thema „Kunst und Kapital“ ist das folgende Buch eine Fundgrube – Kunst und Kapital. Begegnungen auf der Art Basel –

„Die Art Basel ist nicht nur Messe im zweifachen Wortsinn, zeitlich und räumlich konzentrierte Zusammenkunft von Händlern, die ihre Waren feilbieten und gleichzeitig Ort ihrer Demonstration als heilige Güter mit abertausenden von Pilgern, ein Wallfahrtsziel der Anbetung klassischer und zeitgenössischer Kunst. Sondern sie wird gerade deshalb zur entscheidenden Zeugin eines Wandels der heutigen Beziehungen von Kunst und Geld, mit allen Konsequenzen auch für die Bewertung dessen, was als echte Kunst zu gelten hat. Die vorliegende Studie, Ergebnis einer mehrjährigen ethnografischen Feldforschung, versucht diesen Wandel in der Wahrnehmung der Beteiligten, Messemacher, Galeristen, Sammler, Kuratoren, Kunstberater und Künstler, detailliert nachzuzeichnen“.

 

Zusammenfassung und Fazit

Die Kulturberichterstattung steckt in der Krise. Sie wird qualitativ ausgedünnt und droht zu verschwinden. Neue, dynamische Formate sind aufgetaucht und sind vornehmlich auf kulturellen Nischen und in regionalen Blogs einsehbar.

Kultur hat eine wichtige Bedeutung, weil sie die Gesellschaft repräsentiert, die Vielsprachigkeit und die regionale Diversität pflegt.

Kulturberichte müssen fundiert, fair, unabhängig, verständlich und offen für alle Kulturformen sein.

Partner für die Kulturberichterstattung können online-Medien, Plattformen, regionale Printmedien, universitäre Institutionen oder Projektinhaber sein

Die Situation der Kulturberichterstattung in den Medien ruft nach der Initiative „kultur-online“, die dem Diskurs über Kunst und Kultur neues Leben einhaucht und ihm eine Zukunft gibt.

Die Kulturberichterstattung ist ein ökonomisches Problem und braucht ökonomische Lösungen

Eduard Hauser

 

 

Quellen:

www.matthiaszehnder.ch wochenkommentar 33/2021

ch-intercultur – kultur-online – Kulturberichterstattung/Folien 0 bis 2

Kunst und Kapital. Begegnungen auf der Art Basel, Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Band 44, 2021

Autor

Kulturblogger Glarus

Kontakt

Hauser Eduard
Blogger
Biäschenstrasse 10
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hauser.eduard@gmail.com
079 375 81 99

Kategorie

  • Kultur

Publiziert am

04.10.2021

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